INTERVIEW in der HOMÖOPATHIE ZEITUNG / HZ II 2008 (Seite 88 – 91)

Jutta Fritton, Notdienst-Homöopathin der ersten Stunde, über „durchhalten“.

DAS TEAM VOM HOMÖOPATHISCHEN NOTDIENST

INTERVIEW in der HOMÖOPATHIE ZEITUNG / HZ II 2008 (Seite 88 – 91)

Jutta Fritton, Notdienst-Homöopathin der ersten Stunde, über „durchhalten“.

DAS TEAM VOM HOMÖOPATHISCHEN NOTDIENST

1o Jahre Homöopathischer Notdienst. Eine Idee wurde zur einer festen Institution in München. Nun feierte das Team 2008 sein Jubiläum. Nikolaus Heinen, Max Müller, Agnes Rosenthal, Helmut Schumacher, Ulrike Striebeck und Jutta Fritton sind alle aktive HeilpraktikerInnen mit langjähriger Erfahrung in eigener Praxis und arbeiten nach den Richtlinien der Klassischen Homöopathie mit Einzelmittelgabe. Heute sind sie stolz, dass sie es geschafft haben, diese Einrichtung zum Wohl vieler Patienten am Leben zu halten. Leicht war das allerdings nicht immer. Nicht nur am Anfang.

HOMÖOPATHIE ZEITUNG: Wie kam es zur Idee, einen Homöopathischen Notdienst zu gründen?

Jutta Fritton: In einer kleinen Praxis in der Münchner Blutenburgstraße hatten wir das „Freie Homöopathische Zentrum“ eingerichtet. Unsere Gruppe, einige waren Homöopathiestudenten in der Akademie Gauting, organisierte Fortbildungen, Arbeitskreise und Ausstellungen. Man konnte aber auch einfach nur zum Kaffee trinken vorbeikommen. Dann entstand über dieses „Kommunikationszentrum“ und die Nachbarschaftshilfe die Idee eines homöopathischen Notdienstes. Unsere Praxen liefen inzwischen ganz gut und es stellte sich immer mehr die Frage, wie man eine Rundum-Betreuung unserer Patienten gewährleisten könnte. So formierte sich vor etwas mehr als zehn Jahren der „Homöopathische Notdienst“.

Darf man sich das in etwa wie „Emergency Room“ mit Blaulicht und Hektik („Wir verlieren ihn!“) vorstellen?

Ja, schon. (lacht) Wir waren als frischgebackene Homöopathen alle sehr euphorisch und engagiert. Wir hatten schon die Vorstellung, dass man ja als Homöopath gerade im Notfall sehr gut helfen kann, etwa bei Verbrennungen oder Unfällen. Wir wollten aber auch unsere eigenen Patienten besser betreuen. Wir starteten tatsächlich mit sehr viel Idealismus, die Wirklichkeit holte uns ein und bremste das etwas ab.

Der Notdienst war ja nicht von Anfang an eine Erfolgsgeschichte. Haben Sie mal ans Aufgeben gedacht?

Nein, ans aufgeben haben wir nie gedacht, allerdings waren die ersten Jahre tatsächlich nicht einfach. Zunächst gründeten wir eine BGB-Gesellschaft, haben ein Handy gekauft und Flyer drucken lassen. Zu siebt haben wir dann wöchentlich Dienst gemacht, d.h. wir haben uns das Handy weitergereicht und es Tag und Nacht angelassen. Monate vergingen und kaum einer hat uns angerufen. Jedoch überzeugt von unserer Idee, blieben wir hartnäckig. Wenn wir etwas Geld übrig hatten, was damals eher selten war, steckten wir es wieder in Werbung. Neue Mitglieder kamen und gingen, es blieb jedoch immer ein harter Kern. Ganz langsam wurden die Anrufe am Notdiensthandy dann häufiger und mittlerweile haben wir endlich das Gefühl, dass sich unser ganzer Aufwand, unsere Geduld und unsere Begeisterung für diese Idee gelohnt hat.

Wie kamen die Mitglieder beim Notdienst mit Misserfolgen und Frust zurecht?

Wir haben alle sehr naiv angefangen, freuten uns über positive Stimmen in der Presse. Trotz großen Einsatzes und der immer wieder aufkommenden Enttäuschung über so wenig Anrufe haben wir stoisch durchgehalten. Vier der ehemaligen Gründungsmitglieder sind noch dabei, wir sind alle freundschaftlich verbunden. Unsere Motivation ist nicht primär viel Geld zu verdienen oder berühmt zu werden, wir wollen gute Arbeit machen, als Gruppe funktionieren. Wir können uns immer einigen und brauchen kein Chef. Alle sind gleichberechtigt, mal arbeitet der oder die andere mehr oder weniger, ganz spontan.

Wo steht der Notdienst heute?

Wir haben im Gegensatz zu den Anfangszeiten ganz schön zu tun. Wir sind alle schneller und versierter im Umgang mit akuten Erkrankungen geworden und die Rückmeldungen der Patienten sind größtenteils positiv, sehr geschätzt wird die Erreichbarkeit rund um die Uhr.

Die Behandlung ist nicht teuer, was sagen da die Kollegen?

Heute wird der Homöopathische Notdienst nicht nur von zahlreichen Patienten mit akuten Erkrankungen genutzt, sondern auch von vielen Klassischen Homöopathen in Anspruch genommen. Diese Kollegen geben uns als Vertretung an in den Ferien, bei Krankheit, an den Wochenenden oder Feiertagen, da sie ihre Patienten dann doch umfassend homöopathisch betreut wissen. Es gab eigentlich nie Probleme bezüglich unserer Behandlungskosten, außer dass ab und zu Patienten verwundert sind, dass es was kostet. Wir möchten uns bei dieser Gelegenheit bei allen Kollegen für das entgegengebrachte Vertrauen bedanken und werden auch in Zukunft daran arbeiten, dieser Verantwortung gerecht zu werden.

Könnten sich neue Gruppenmitglieder noch anschließen oder werden keine weiteren Notdienstler gebraucht?

Eigentlich schon, wobei das natürlich immer von der Menge der Patienten abhängt. Gut wäre es, ein paar „Freie“ zu haben, die bei Bedarf einspringen. Häufige Fragen an den Notdienst sind z.B. „Zu welchen Zeiten kann ich bei Ihnen anrufen? Bei welchen Beschwerden kann ich mich an Sie wenden? Ist die klassische Homöopathie auch bei psychischen Leiden hilfreich?

Diese Fragen jedes Mal zu beantworten, ist sicher auch eine Zeitfrage?

So viel Zeit muss schon sein, es gibt aber auch eine von einem Freund gemachte, sehr schöne und ausführliche Website, die Patienten rund um das Thema Homöopathie aufklärt und zum Notdienst selbst die wichtigsten Fragen beantwortet, z.B. dass der Notdienst rund um die Uhr und an jedem Tag eines Jahres erreichbar ist.

Das ist phänomenal, wie schafft eine so kleine Organisation von sieben Mitgliedern diese Aufgabe?

Wir machen einen „Jahresdienstplan“, wenn ich beispielsweise Notdienstwoche habe, mache ich keine Erstanamnesen und minimiere meine „socials“. Wir helfen uns gegenseitig, wenn es mal zuviel wird, kann ich einen Kollegen anrufen und ihn bitten, mir ein paar Stunden abzunehmen. Das funktioniert immer. Dazu eine wichtige Bitte an die Patienten: keine Mail bezüglich gesundheitlicher Probleme! Das schaffen wir einfach nicht. Deshalb weisen wir auf unserer Website auch darauf hin, dass der Kontakt nur über Telefon zustande kommen kann. Im Großraum München machen wir dann Hausbesuche. Telefonisch geben wir aber auch in ganz Deutschland und Österreich Auskunft.

Wie kann man sich so ein Telefongespräch konkret vorstellen?

Erfahrungsgemäß läuft das gut, oft besser und effizienter als in der eigenen Praxis. Nach den wichtigsten Abfragen und Daten zum vorliegenden Problem legen wir viel Wert auf das Konstitutionsmittel, weil es uns einen Weg aufzeigt. Z.B. berichtet eine Mutter, ihr Kind bekäme vom Behandler Calcium carbonicum in diesem oder jenem Fall, so kann man das Arzneimittel abstecken, d.h. wichtig ist im Telefongespräch eine erste Analyse, was vorher homöopathisch gelaufen ist. Übrigens sind ca. 80 Prozent der Anrufer Patienten von Kollegen. Schwierig wird es, wenn es da gar keine Information gibt, viele Homöopathen sagen ja nicht, was sie gegeben haben. Lautet die Auskunft „irgendwelche Kügelchen“, muss man halt selber entscheiden.

Gibt es Fälle, an die sich die Gruppe besonders (gern oder ungern) erinnert?

Ja, da gibt es die immer gleichen Fragen, z.B. ob man eine Zecke links oder rechts herausdrehen soll, das kann dann durchaus mitten in der Nacht sein. Manchmal gibt es komische Dinge (ein Anruf eines Mannes, der in die Hosen gemacht hatte und einen Rat wollte) oder emotionale Dramen wie Liebeskummer oder kaputt geschlagene Wohnungen. Zuweilen auch Unangenehmes wie sexuelle Anmache, meistens auch in der Nacht, aber auch Bedrohliches wie Panikattacken oder Angstpatienten. Manche Patienten brauchen dann mehr einen Seelsorger als eine homöopathische Arznei.

Rufen auch Patienten mit Fragen zur Selbstmedikation an?

Ja, immer wieder, z.B. die sich oft wiederholte Anfrage: „Ich habe Warzen, kann ich auch Thuja nehmen?“. Das muss dann aufgeklärt werden und ist oft schwierig. Immer mehr Patienten haben eine homöopathische Halbbildung und beginnen zu diskutieren, warum wir jetzt dieses Mittel empfehlen, wobei sie durchaus ein besseres wüssten oder empört reagieren, „Was? Causticum? Das bin ich nicht!“ Andererseits erleichtert es uns die Arbeit, wenn die Patienten in Notfällen die wichtigsten homöopathischen Mittel zu Hause vorrätig haben. Mit unserem Kooperationspartner Bahnhof Apotheke Kempten haben wir deshalb eine Hausapotheke zusammengestellt. Sie ist unter der Bezeichnung „Taschenapotheke Homöopathischer Notdienst München" erhältlich.

Sie haben Kontakt zur interessierten Öffentlichkeit, aber auch Verbindung zu „Homöopathie in Aktion“ aufgenommen, um arme und bedürftige Patienten zu behandeln?

Wir haben uns einige Male der Öffentlichkeit vorgestellt, beispielsweise an der Familienmesse „4family“ teilgenommen und uns bei Gesundheitstagen den Fragen der Besucher gestellt. Wir sind auch Kooperationen eingegangen, wie beispielsweise mit dem Online-Portal naturheilmagazin.de, mit welchem eine enge Zusammenarbeit entstanden ist. Das soziale Engagement ist uns wichtig. Wir arbeiten jetzt auch mit „Homöopathie in Aktion" zusammen, das heißt, wir behandeln die Patienten der Homöopathie-in-Aktion-Mitglieder am Wochenende, nachts und in Ferienzeiten. Eine Mitarbeiterin von uns engagiert sich für alleinerziehende Mütter, die für wenig Geld homöopathische Behandlung bekommen sollen, wir wollen das mit unserem Notdienst unterstützen.

Würden Sie das alles noch einmal genauso machen?

Wir haben vor 10 Jahren mit einer Mischung aus Enthusiasmus, Leidenschaft, aber auch Naivität und Unbekümmertheit angefangen. Ich glaube, anders hätte es nicht funktioniert.

Das Interview führte Christa Gebhardt, die neue Chefredakteurin der HOMÖOPATHIE ZEITUNG. Christa Gebhardt hat zusammen mit ihrem Mann, Dr. Jürgen Hansel, das Buch "Glücksfälle? Heilungsgeschichten mit Homöopathie" geschrieben.